Ein weiterer Aspekt ist die Verfremdung der Bilder. Filter und die Wahl der Perpektive sind noch harmlose Werkzeuge, um sich selbst ins beste Licht zu rücken. Richtig hart wird es, wenn ordentlich retouchiert wird. Ist es nicht furchtbar, wenn man eine Person trifft und merkt, dass sie komplett anders aussieht, als auf ihrem Facebook-Profilbild? Ich nutze Filter, weil ich auf den Bildern nicht aussehen will, als wäre ich gerade den New York Marathon gelaufen (was ein cooles Motiv wäre, wenn ich ihn tatsächlich gelaufen wäre), aber alles was mit “Korrektur des Körpers” zu tun hat, ist absolutes No Go. Die Menschen sollen mich nehmen wie ich bin – leicht übergewichtig und etwas unscheinbar (wenn man die roten Haare mal außer Acht lässt).
Das wichtigste an Selfies ist doch, dass das Selbst auch tatsächlich erkennbar ist. Wenn du bodenständig und witzig bist, warum ein Bild einstellen, auf dem du aussiehst wie ein High Fashion Model auf ner Chanel Party? Ist es wirklich befriedigender, wenn du 100 Likes für ein Fake-Bild bekommst, als 20 für dein wahres Ich?
Ein weiteres Phänomen ist, dass die Selbstdarstellung als Ersatz für die Realität dient. Beim Max Herre Konzert vor drei Wochen stand ein Pärchen direkt vor mir. Das Mädel hat das Konzert zu 80% durch ihr Handy gesehen, mir z.T. auch dadurch die Sicht versperrt. Natürlich möchte man gewisse Momente festhalten – auch ich habe an diesem Abend Bilder gemacht: drei Stück, von mir und meinem Kumpel, den Rest des Abends habe ich nach vorne geschaut. Auf die Bühne. Da war ja schließlich ein Konzert…
Kirsten Dunst hat in Zusammenarbeit mit Regisseur Matthew Frost den Kurzfilm “Aspirational” veröffentlicht, der schön zeigt, wie viel wichtiger das Selfie im Gegensatz zu dem echten realen Moment zu sein scheint:
Mittlerweile versuche ich mein Selfie-Game etwas zu verändern: ich mache weniger und teile sie seltener. Meine Beiträge auf Facebook und Co. sollen mehr aussagen, als: “Ich bin hier und sehe gut aus (dank Foto App)”, mit den Worten von Interview.de: “mehr Kommunikation, mehr Moment, weniger Technologie, weniger Hype, weniger Schall und Rauch.”
No Replies to "Die Sache mit den Selfies: Leben oder Posen?"